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Adieu Tristesse: Ideen gegen Leerstand in der Innenstadt.
„Einzelhandel in der Krise“, „Das Ladensterben geht weiter“ oder „Deutschlands Innenstädte veröden“ – beim Scrollen durch die Nachrichten tauchen Schlagzeilen wie diese immer häufiger auf. Es liegt nahe, den Grund dafür in der Corona-Pandemie und in der Energiekrise zu suchen. Laut „Handelsverband Deutschland“ schreitet der Strukturwandel in den Stadtzentren aber schon lange schleichend voran. Mögliche Gründe: wachsender Online-Handel und stetig steigende Mieten. Die vergangenen Krisenjahre hätten demnach wie ein Katalysator gewirkt. Eine These, die ein Blick auf die Zahlen stützt. Von 2015 bis 2019 gab es dem Verband zufolge durchschnittlich 5.000 Ladenschließungen pro Jahr. Für 2023 sollen es der Prognose zufolge sogar 9.000 sein.
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Innenstädte ausschließlich Einkaufsmeilen und reine Orte des Konsums waren. Vielerorts stehen zahlreiche große Handelsimmobilien leer. Ihre Zukunft: ungewiss. Was es braucht, sind kreative Ideen, um die verlassenen Gebäude wieder mit Leben zu füllen. So gibt es mittlerweile einige Projekte, die Abwechslung sowie Inspiration in die Innenstädte bringen, indem sie einstige Kaufhäuser in beliebte Treffpunkte verwandeln – und so die durch den Leerstand entstandene Tristesse vertreiben.
ein 20.000 Quadratmeter großes Multifunktionshaus.
Acht Stockwerke, eine Fläche von rund 20.000 Quadratmetern und eine Toplage am Stachus mitten in München: Steht eine Immobilie wie diese im Herzen der Stadt leer, dann bietet das ein riesiges Potenzial für ein kreatives Umnutzungskonzept. Die Initiative „This is really happening“ hat eine ambitionierte Vision für das Gebäude, in dem einst ein Galeria Kaufhof untergebracht war. Unter dem Namen „Lovecraft“ (deutsch: „Handwerk der Liebe“) ist hier eine Art Multifunktionshaus entstanden, mit unterschiedlichen Nutzungsoptionen für die verschiedenen Etagen und vorerst angelegt auf einen Zeitraum von zwei Jahren. Im Erdgeschoss gibt es Gastronomie, auf den weiteren Stockwerken temporäre Ausstellungen. Darüber hinaus dürfen Kreativ- und Kulturschaffende einige der Flächen frei nutzen. Das Gebäude ist so groß, dass es sogar Platz bietet, um Fußball oder Tischtennis zu spielen. Auch ein Skatepark ist angedacht. Ziel ist es, den soziokulturellen Austausch zu fördern und das städtische Leben in München an diesem Ort aufblühen zu lassen. Auch MINI hat das „Lovecraft“ bereits genutzt und hier die Präsentation der neuen MINI Generation gefeiert.
Lissie Kieser, Gregor Wöltje und Michi Kern von „This is really happening“ sind Profis in Sachen Zwischennutzungskonzepte. Gemeinsam haben sie schon das ehemalige Katzenberger Betonwerk im Stadtteil Obersendling in einen Kunst- und Kulturtreffpunkt namens „Sugar Mountain“ verwandelt, den auch MINI gerne für Events nutzt und mitgestaltet hat. An dieser Location treffen sich Street Artists, Skater:innen und Künstler:innen. Mit „The Lovelace“ hat das Trio vor einigen Jahren im ehemaligen Gebäude der Hypo-Vereinsbank in der Münchner Altstadt ein Pop-up-Hotel mit Kulturangebot eröffnet. Allesamt Projekte, die von den Bürger:innen positiv angenommen worden sind.
Die Fläche des „Lovecraft“ umfasst rund 20.000 Quadratmeter und befindet sich direkt am Stachus mitten in München. Die ehemals graue Handelsimmobilie ist in einen bunten Treffpunkt und beliebten Veranstaltungsort verwandelt worden. MINI hat hier zum Beispiel die neue Modellfamilie vorgestellt.
Drei Fragen an Gregor Wöltje:
Das „Lovecraft“ ist nicht euer erstes Umnutzungs- beziehungsweise Zwischennutzungsprojekt. Was ist wichtig, damit die Umnutzung von Leerstand erfolgreich wird?
Die Zukunft der Stadtgesellschaft liegt in der Kollaboration und der Co-Kreation, denn die Probleme der Gegenwart lassen sich nur gemeinschaftlich lösen. Dafür schaffen wir Räume, die das gemeinsame Erleben, Denken, Träumen und Handeln ermöglichen – und die uns letztendlich zu einer gemeinsamen Vision inspirieren. Gelingen kann das nur, wenn nicht der kommerzielle, sondern der kulturelle und soziale Gedanke überwiegt. Dazu ist es wichtig, dass Betreiber:innen, Partner:innen, Vermieter:innen und Behörden an einem Strang ziehen. Und alle Beteiligten müssen wirklich schnell sein, was Planung, Finanzierung und Umsetzung angeht.
Was muss ein leerstehendes Gebäude bieten, damit es für eine Zwischennutzung interessant wird?
Erstens ist die Größe wichtig. Denn je größer eine leere Immobilie, desto mehr Möglichkeiten bieten sich. So können beispielsweise mehr Partner:innen mitmachen und noch mehr Menschen die umgenutzte Fläche, wir nennen sie „Happening Place“, genießen. Zweitens dürfen die Räume gerne „verrückt“ sein, also einen skurrilen Touch haben. Wir konnten bislang Banken, Betonfabriken, Kaufhäuser und Gewerkschaftshäuser umnutzen. Und drittens: Eine nahegelegene öffentliche Anbindung garantiert eine gute Erreichbarkeit und damit viele Besucher:innen.
Was macht euer jüngstes Projekt, das „Lovecraft“, so besonders?
Das Lovecraft erfüllt alle oben genannten Ansprüche. Es ist riesig, als ehemaliges Kaufhaus bietet es ein ganz besonderes Flair, und dank der zentralen Stadtlage kann es jedermann gut erreichen. Das Gebäude ist eine Ikone, die jede:r Münchner:in kennt und der wir jetzt ein neues, überraschendes Leben einhauchen.
vom Betonblock zum Haus der Begegnung.
Viele Jahre lang stand das ehemalige Hertie-Kaufhaus im niedersächsischen Oldenburg leer und sorgte für einen tristen Anblick in der Innenstadt. Heute ist der einstige Konsumtempel das perfekte Beispiel dafür, wie ein trostloser Betonkasten aus dem Dornröschenschlaf erweckt werden kann. Zunächst hatte ein amerikanisches Investment-Unternehmen die Immobilie gekauft. Nichts passierte. Dann schlossen sich heimische Investoren zusammen, um das Gebäude zurückzukaufen. Ihr Wunsch war es, Oldenburgs Zentrum lebhafter zu machen. So entstand die Idee zu „Core“, einem Ort, an dem sich Bürger:innen treffen und austauschen.
Seit April 2021 ist das „Core“ eine beliebte Anlaufstelle mitten im Zentrum der Stadt. Im Erdgeschoss befindet sich eine Markthalle mit verschiedenen Essensständen. Auf den anderen Etagen gibt es Meetingräume und Co-Working-Flächen. Diejenigen, die hierherkommen, können sich untereinander vernetzen. Das wiederum soll die Kreativität und den interdisziplinären Austausch fördern. Die Macher:innen verstehen „Core“ als Ökosystem für die Ideen der Zukunft. Sie wollen perfekte Bedingungen für innovative Projekte und Kollaborationen schaffen.
In Oldenburg stand ein altes Kaufhaus jahrelang leer. Heimische Investoren haben die Immobilie gekauft und ein Nutzungskonzept entwickelt. Heute sind hier unter anderem ein Co-Working-Space und eine Markthalle untergebracht.
Jupiter – vom leerstehenden Kaufhaus zum Kreativplaneten.
In Hamburg setzt sich die „Hamburg Kreativ Gesellschaft“ mit dem Förderprogramm „Frei_Fläche: Raum für kreative Zwischennutzung“ dafür ein, leerstehende Einzelhandelsflächen umzunutzen und sie für einen Mietpreis von 1,50 Euro pro Quadratmeter an Kreativschaffende zu vermitteln. Die Stadt unterstützt das Programm finanziell. Eine Idee mit Vorbildcharakter, denn sie punktet mit vielen Vorteilen. „Diese Zwischennutzung ist ein Gewinn für die ganze Stadt. Denn Kreativschaffende aus allen Bereichen haben die Möglichkeit, ihre Ideen und Konzepte in erschwinglichen und zentralen Räumen zu verwirklichen“, fasst Geschäftsführer Egbert Rühl zusammen. „Gleichzeitig können Vermieter:innen Leerstand vermeiden und das Quartier mit ihrer Immobilie beleben. Von vitalen Stadträumen wie diesen profitiert die gesamte Stadt.“
Das bekannteste Projekt der Initiative ist das „Jupiter“ in der Nähe des Hauptbahnhofs, das im Juli 2021 gestartet ist. In einer ehemaligen Karstadt-Sport-Filiale ist auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern und über sechs Stockwerke verteilt eine Art Kulturzentrum entstanden, die bislang größte innerstädtische Zwischennutzungsfläche für Kreativschaffende in Deutschland. Besucher:innen können sich wechselnde Kunstausstellungen ansehen, durch Pop-up-Stores bummeln oder ganz oben auf der Dachterrasse bei Partys und Konzerten den Tag ausklingen lassen.
Ein Konzept, von dem sich andere große Städte etwas abgucken können. Denn der Kreativplanet in der Hamburger Innenstadt hat in den vergangenen beiden Jahren gezeigt, wie eine kreative Zwischennutzung die Innenstädte beleben kann. Doch gewiss sind nicht alle Projekte in dieser Größenordnung Selbstläufer. „In rund zwei Jahren ,Frei_Fläche’ haben wir viele Erfahrungen sammeln können, die wir gerne teilen”, sagt Rühl, „neben professioneller Planung braucht es in der Umsetzung auch eine gute Portion Pragmatismus. Ein kluges Kuratieren der Konzepte. Und eine gewisse Überzeugungskraft bei der Akquise der ein oder anderen Immobilie.“ Diese Überzeugungskraft könnte nun bald wieder gefragt sein. Denn ursprünglich sollte das Projekt 2022 auslaufen, wegen des großen Erfolgs ist es aber bis 2023 verlängert worden. Die Kreativ-Gesellschaft ist jedenfalls, so Rühl, zu einer weiteren Verlängerung bereit.
Im Jupiter in Hamburg können Kreativschaffende leerstehende Einzelhandelsflächen für einen kleinen Preis mieten und darauf ihre Kunst präsentieren. Darüber hinaus finden auf den verschiedenen Etagen des Gebäudes Kulturveranstaltungen und Partys statt.
{CORE / Ulf Duda (1, 10-13), JUPITER / Hamburg Kreativ Gesellschaft / Komorek (2, 14-18), LOVECRAFT / Thomas Mandl (4-8), Thomas Dashuber (9)}