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Urbane Nahrung für alle
Moderne Technologie und Natur, geht das zusammen? Eine Antwort bietet ein Besuch im Berliner Landschaftspark Herzberge.
Nach breiten, vielbefahrenen Straßen und großen Betonbauten im Berliner Osten führt unser Weg in ein 100-Hektar großes Naturschutzgebiet. Zwischen Streuobstwiesen, Waldstücken und weiten Landflächen entsteht eine ungewohnt ländliche Atmosphäre. Drei der gläsernen Gewächshäuser aus dem industriellen Gartenbau der 80er Jahre sind heute noch übrig und mit der Aufschrift „Stadtfarm“ nicht zu übersehen. Seit 2017 betreibt hier ein kleines Team eine große Vision: frische, lokale und nachhaltige Lebensmittel für den urbanen Raum.
Hinter den gläsernen Wänden leben in acht Tanks ungefähr 15.000 Afrikanische Welse. „Auch wir müssen wirtschaften“, sagt Anne-Kathrin Kuhlemann, Mitgründerin der Stadtfarm. „Wir möchten, dass Tierwohl und Wirtschaftlichkeit gut zusammengehen und der Fisch sich wohl fühlt und nicht unter Stress steht.” Der Clarias Gariepinus, auch liebevoll Clara genannt, stammt aus nordafrikanischen Gewässern und ist es gewohnt, während der Trockenzeit auf engstem Raum mit seinen Artgenossen auszukommen. „Versuch das mal mit einer Dorade, das gibt Mord und Totschlag“, erklärt Kuhlemann. Um die sechs Monate verbringt der Wels in der Stadtfarm bevor er im hauseigenen Hofladen als Filet, Fischbällchen, Spieß oder im Salat verkauft wird. „Dein Fisch von Morgen schwimmt heute noch in der Stadtfarm“, sagt Kuhlemann.
Der Fisch wächst in 28-Grad warmem Wasser heran, ihre Ausscheidungen werden in ein natürliches Düngemittel für Pflanzen umgewandelt. In einem riesigen Becken nehmen sich unzählige Würmchen der Sedimente an und die Enzyme aus dem Darm der Würmer bilden eine natürliche Medizin für Fische und Pflanzen. Das gereinigte Wasser und der produzierte Humus landen in Pflanzenerde. Es gibt Starkzehrer und Schwachzehrer erklärt Kuhlemann: „Je nach Bedarf ziehen sich die Pflanzen die Nährstoffe aus der Erde und brauchen somit keine weitere Düngung. Das gereinigte Wasser fließt dann wieder zurück in den Fischtank und der Kreislauf beginnt von vorne.”
Kuhlemann ist neben der Leitung der Stadtfarm auch Geschäftsführerin des operativen Betriebs dahinter (TopFarmers GmbH) sowie Vorstand der BE Food AG, die neue Standorte plant und ständig an der Verbesserung des hiesigen Systems forscht. „Angefangen haben wir im Sommer 2011 auf einer Dachterasse. An Weihnachten mussten wir dann die ersten Fische schlachten, weil die so groß geworden sind.” Die Dachterrasse wurde schnell zu klein und das Gründerteam aus zwei Pärchen zog in eine größere Halle. Gemeinsam mit Biologen forschen sie seitdem an eigenen Lösungen für innovative Gewächshäuser. “Wir kommen alle aus dem Systemischen und sagen das, was die Natur kann, das müssen wir doch auch können. Wir wollen weg vom linearen Denken“, sagt Kuhlemann.
Die Stadtfarm in Berlin kommt mit dieser Technologie auf jährlich 50 Tonnen Fisch und 30 Tonnen Salat, Kräuter, Tomaten und Gurken. „Als Gag haben wir hier im Besucherzentrum auch Bananen, Papaya, Feigen und Avocados – einfach um zu zeigen, was alles machbar ist, wenn man intelligent und neu denkt. Man muss nicht immer alles einfliegen“, erklärt Kuhlemann.
Heruntergebrochen auf die Bewohnerschaft einer Stadt sind diese Mengen noch gering. Das Ziel ist Wachstum, sagt Kuhlemann: „Aber es braucht die kleinen Projekte, die sich an Neues wagen, damit die Großen nachziehen.” Geplant sind Standorte in ganz Deutschland, als nächstes Süddeutschland und Berlin. Andere Städte sind noch in Gesprächen und werden sicher folgen. Kuhlemann und ihr Team arbeiten darauf hin, dass die Stadtfarm eine Marke wird, die Leute kennen, mit der sie sich identifizieren und auseinandersetzen können. „Wir wollen, dass ein anderes Bewusstsein für Lebensmittel entsteht, denn in diesem Punkt können wir uns jeden Tag aktiv dafür entscheiden, mit unserem Einkauf auch unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern“, sagt Kuhlemann. Für eine lebenswerte Stadt und eine gesunde Umwelt ist diese Utopie wesentlich, wenn man bedenkt, dass unser Lebensmittelkonsum in Deutschland ganze 15 Prozent der Treibhausgasemissionen ausmacht.”
Bis zu dieser Zukunftsvision produziert das Stadtfarm-Team lokale Lebensmittel in Herzberge und liefert frische Salate zur Mittagszeit in die direkte Umgebung oder an verschiedene gastronomische Betriebe. Im Hofladen und im Besucherzentrum finden Anwohner und Anwohnerinnen, aber auch andere Städter und Städterinnen selbstgemachte Produkte und gewinnen einen transparenten Einblick in Europas größte gläserne Stadtfarm.
Anne-Kathrin Kuhlemann ist Mitgründerin der Stadtfarm und Geschäftsführerin der TopFarmers GmbH, sowie Vorstand der BE Food AG. Die gelernte Betriebswirtin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit gesunder Ernährung und den Möglichkeiten von urbaner Lebensmittelproduktion für die Städte von morgen.
Text: Lena Heiß
Fotos: Mathea Millman