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„Wir müssen das Potenzial von Diversität viel stärker ausschöpfen“
Tijen Onaran setzt sich seit vielen Jahren leidenschaftlich für mehr Diversität in unserer Gesellschaft ein. Sie berät Unternehmen zu diesem Thema, vernetzt Frauen miteinander, um sie zu stärken, und möchte andere Menschen dazu bringen, Vorurteile zu hinterfragen. Wir haben mit der 37-Jährigen darüber gesprochen, wo wir in Sachen Vielfalt aktuell stehen und warum Unternehmen Diversity als wichtigen Faktor für ihren Erfolg erkennen sollten.
Diversität tatsächlich zu leben, bedeutet mehr, als Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe und unterschiedlichem Geschlecht an einen Tisch zu bringen. Wie definierst Du den Begriff „Diversity“?
TIJEN ONARAN: Dieser Begriff bedeutet für mich persönlich in allererster Linie, Spaß am Leben zu haben. Es zu schätzen, dass die verschiedensten Leute unterschiedliche Perspektiven einbringen und wir alle davon profitieren – ganz gleich, ob in der Wirtschaft, in der Politik oder im sozialen Leben. Viele Menschen vergessen immer wieder, dass Vielfalt so viel besser ist als Einfalt. Das finde ich schade. Denn unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven beeinflussen nicht nur Individuen positiv, sondern auch Unternehmen, Organisationen und die gesamte Gesellschaft.
„We are all different but pretty good together“: Im Rahmen der European Championships in München moderierte Tijen Onaran im MINI Pavillon eine Diskussionsrunde zum Thema Diversität.
Diese positiven Effekte scheinen immer wieder in Vergessenheit zu geraten – auch wenn wir in Sachen Diversität schon so viel weiter sind als noch vor ein paar Jahren.
TO: Das stimmt. Andersartigkeit kann leider auch immer ein Auslöser für Ängste und Unsicherheiten sein. Denn was unbekannt ist, lässt sich natürlich nicht so leicht beurteilen. Logisch also, dass viele Menschen am liebsten mit denjenigen zusammenarbeiten, die sie kennen und dementsprechend gut einschätzen können. Wenn sie aber auf jemanden aus einem anderen Kulturkreis oder aus einer anderen Generation treffen, kommen sie mit einem für sie noch unbekannten Wertesystem in Berührung. Das kann herausfordernd und emotional sein.
Dein Motto lautet: Diversität ist kein Trend, sondern der Grundstein für Erfolg. Was steckt hinter dieser Überzeugung?
TO: Wenn ich mich ausschließlich mit Menschen austausche, die so ticken wie ich, macht mich das nicht schlauer. Es wird nur dann spannend und bereichernd, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Meinungen zusammenkommen. Dieses Bild lässt sich super auf die Wirtschaft übertragen. Egal, ob in der Start-up-Szene, in einem Konzern oder im Mittelstand – wenn da Leute an einem Meetingtisch sitzen, die gleich aussehen, ähnlich heißen und das identische Geschlecht haben, können weder Kreativität noch Innovation entstehen. Das belegen auch aktuelle Studien: Diverse Teams performen besser und sind ökonomisch erfolgreicher. Deswegen will ich mit meiner Arbeit vor Augen führen, dass Diversity mehr sein sollte als ein Charity-Projekt. Denn Vielfalt fördert ökonomischen und gesellschaftspolitischen Erfolg.
Wir haben nun viel über Diversität im wirtschaftlichen Kontext gesprochen. Wie aber lässt sich das auf die gesamte Gesellschaft übertragen?
TO: Wir in Deutschland sind per se eine diverse Gesellschaft – ob wir es wollen oder nicht. Der Grund dafür ist in unserer Geschichte zu finden. In unserer Einwanderungsgeschichte, um genau zu sein. Meine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Biografien wie ihre gibt es hier viele. Leider sind wir noch nicht gut genug darin, das volle Potenzial von Vielfalt auszuschöpfen und gesellschaftlich davon zu profitieren. Einige Positiv-Beispiele führen uns aber vor Augen, dass wir das unbedingt tun sollten. So ist es ein schönes Zeichen, wenn jemand wie Cem Özdemir mit einer türkischen Migrationsbiografie Bundeslandwirtschaftsminister wird. Das macht anderen Mut und zeigt ihnen, dass sie es in diesem Land schaffen können. Es braucht viel mehr solcher Beispiele, die zeigen, dass es nicht auf Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe oder Alter ankommt, wenn man etwas erreichen möchte. Sondern auf das Individuum und seine Fähigkeiten. Eine vielfältige Gesellschaft, in der diverse Persönlichkeiten hohe Ämter und Positionen bekleiden, ist sehr bereichernd.
Eine diverse Gesellschaft zeichnet aber nicht nur aus, dass Menschen mit Migrationshintergrund beruflich erfolgreich sind. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau spielt eine Rolle.
TO: Hier in Deutschland haben wir leider immer noch ein sehr tradiertes Rollenbild. Das lässt sich gut am Beispiel unserer Außenministerin Annalena Baerbock beobachten. In Interviews wird sie immer wieder nach der Vereinbarkeit von Karriere und Familie gefragt. Männer müssen sich mit Fragen dieser Art nahezu nie auseinandersetzen. Daran lässt sich ganz klar erkennen, dass wir anders denken und ticken, wenn wir einer Frau in einer hohen Position begegnen. Ein Grund dafür sind Vorurteile. Die haben wir leider alle. Umso wichtiger ist es, diese zu reflektieren und zu hinterfragen. Nur so erreichen wir, dass wir Menschen nicht mehr in Schubladen stecken, mit Vorurteilen aufräumen und so gleichberechtigter werden.
Diversität wird auf dem Land sicherlich anders gelebt als in der Stadt und ist im urbanen Raum viel selbstverständlicher. Was sind Deiner Meinung nach die Gründe hierfür?
TO: Ich denke, es hat viel damit zu tun, an was wir gewöhnt sind. Mit welchem Bild einer Gesellschaft wir aufwachsen. Gibt es im Kindergarten und in der Schule Menschen mit einer anderen Hautfarbe? Begegnen sich Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts bei verschiedenen Gelegenheiten? Je weniger das der Fall ist, desto größer sind die Berührungsängste. Wenn ich also in einer wenig diversen Region aufwachse, sollte ich mir die Frage stellen, wie Vielfalt Teil meines Alltags werden könnte. Ich kann zum Beispiel auf Social Media bewusst Menschen folgen, die anders sind als ich. Mich in Vereinen oder Stiftungen engagieren. Also dorthin gehen, wo Vielfalt ist, und nicht erwarten, dass die Vielfalt zu mir kommt. Und darin liegt, denke ich, leider der größte Unterschied zwischen Stadt und Land: Im urbanen Raum gibt es einfach deutlich mehr Möglichkeiten, mit Vielfalt in Berührung zu kommen.
Wer sich wie Du für eine diversere Gesellschaft einsetzt, ist immer wieder mit Herausforderungen konfrontiert. Gefühlt ist Deine Arbeit nie zu Ende. Was treibt Dich dazu an, am Ball zu bleiben?
TO: Ich finde nichts schlimmer, als nichts zu tun und die Dinge über sich ergehen zu lassen. Wer etwas verändern möchte, muss sich bewegen – anders geht es nicht. Dieser Veränderungsdrang ist mein größter Treiber. Ich möchte den Menschen, die es brauchen, eine Stimme geben. Einen Beitrag dazu leisten, dass soziale Ungerechtigkeiten kleiner werden. Was das angeht, bin ich sehr gerne ein Vorbild für andere. Ich freue mich, wenn ich andere durch mein Engagement inspiriere und ihnen Mut mache, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Das ist das, was ich wirklich möchte.
Tijen Onaran sprach mit dem Beachvolleyballer Paul Henning, der Fußballerin Sharon Beck und dem MINI LGBTQ+ Beauftragten Jörg Maack (von links nach rechts) darüber, wie divers der Profisport ist und was jeder für eine vielfältige Gesellschaft tun kann.
TIJEN ONARAN
geboren 1985 in Karlsruhe, ist Unternehmerin, Investorin, Bestseller-Autorin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen Deutschlands, wenn es um Diversität, Inklusion, Gleichberechtigung und Digitalisierung geht. Mit ACI Diversity Consulting hat sie eine erfolgreiche Beratung für Diversitätsfragen gegründet. Ihr Unternehmen Global Digital Women unterstützt Firmen dabei, Female-Empowerment-Kampagnen zu entwickeln und umzusetzen.
Fotos: Amelie Niederbuchner